Vererbte Traumata und deren Lösung
Kürzlich hörte ich im Deutschlandfunk einen Beitrag von Silke Hasselmann: Bis ins vierte Glied – Traumata prägen auch die Kinder. Er handelt von den Spätfolgen von Diktatur-Erfahrungen mit dem besonderen Fokus auf der Geschichte der ehemaligen DDR, und hat mein Augenmerk nochmal intensiv auf die jüngere deutsche Geschichte gelenkt.
Einige Bücher sind über das Thema der „Kriegsenkel“ geschrieben worden, die Licht ins Dunkel der transgenerationalen Traumaweitergabe aus der Zeit der Naziherrschaft und des zweiten Weltkriegs bringen. Genannt seien hier u. a. „Kriegsenkel – die Erben der vergessenen Generation“ von Sabine Bode, Jens-Michael Wüstels „Traumkinder – Warum der Krieg noch immer in unseren Seelen wirkt,“ Matthias Lohres „Das Erbe der Kriegsenkel – Was das Schweigen der Eltern mit uns macht.“
In meiner Praxis werden diese Zusammenhänge immer wieder in den verschiedensten Kontexten sichtbar, und auf dieser Ebene kann dann schließlich auch Lösung und Heilung ansetzen. Das reicht von unerklärlichen Ängsten und Emotionen, zwanghaften Denk- und Verhaltensmustern und unerfülltem Kinderwunsch bis hin zu rätselhaften körperlichen Leiden, für die es keine offensichtliche Erklärung gibt.
In der Psychologie und Soziologie ist man sich zumeist einig, dass die nachfolgenden Generationen oft unter den traumatischen Erlebnissen und Erfahrungen der Vorfahren mitleiden. Hierzu gibt es mehrere Erklärungsansätze:
Der psychologische Erklärungsansatz
Durch die erlittenen Traumata entwickelten die Großeltern und Eltern verschiedene (Gefühls-) Defizite, spalteten Erlebnisse und Persönlichkeitsanteile ab, entwickelten unerklärliche Macken, Beziehungsstörungen etc. Meist wurde das Geschehene verdrängt und totgeschwiegen: aus Scham, aus Angst und auch als Lebensbewältigungs-Strategie. Und gerade dieses Schweigen ist das Schlechteste, was den nachfolgenden Generationen widerfahren kann.
Die Kinder in diesen Familien erleben dann bei den Eltern oder Großeltern unerklärliche Verhaltensweisen (Depressionen, Aggressionen, Alkoholismus, etc.), die niemals in einen Kontext gebracht werden können, was widerum deren Beziehung zu sich selbst, den Menschen und der Welt verändert.
Harald Freyberger, Universitätsprofessor für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin in Greifswald, verfasste 2003 mit einigen Kollegen ein Gutachten über die „gesundheitlichen Folgen politisch motivierter Inhaftierung und anderer Repressalien in der DDR.“ Dabei wurde herausgefunden, dass mindestens 300.000 betroffene Personen immer noch unter manifesten oder latenten psychischen Beeinträchtigungen leiden oder litten. Etwa 10.000 DDR-Spitzensportler wurden nachweislich zwischen 1974 und 1989 Opfer des staatlich gelenkten Dopingsystems – und ihnen wurde – häufig schon als Minderjährige – Sexualhormone verabreicht. Diese Zahlen haben mich erschüttert, es war sozusagen eine Doppeldosis transgenerationaler Traumaweitergabe.
Der epigenetische Erklärungsansatz
Der zweite Erklärungsansatz ist der Epigenetische, der besagt, dass traumatische Ereignisse über die Funktionsmechanismen der Epigenetik das Erbgut verändern. Das bedeutet, dass Traumata tatsächlich vererbt werden können.
Wenn wir über die Ländergrenzen hinwegblicken, berichten zahlreiche Studien wie z. B. über die Traumatisierung von 150.000 Heimkinder des Ceaușescu-Regimes oder über die verlorene Generation der Aborigines, die zwischen 1910–1970 aus ihren Familien gerissen und ins Heim gesteckt oder zwangsadoptiert wurden, das Gleiche über die Langzeitfolgen der betroffenen und nachfolgenden Generationen.
Diese Thematik ist mir ein besonderes Anliegen. Denn einerseits gehöre ich selbst als Kind der 60-er Jahre zur Enkelgeneration, und weiß dadurch (nicht zuletzt durch etliche Selbsterfahrungsprozesse) um die Problematik und die Zusammenhänge. Glücklicherweise haben meine Eltern ihre Kriegskinder-Erlebnisse mit uns geteilt, was viel Klärung gebracht hat.
Andererseits erfahre immer wieder (z. B. im Rahmen von Akasha-Chronik-Beratungen), wie segensreich und heilsam es sein kann, wenn das Licht der Bewusstheit auf die Geschichte der Vorfahren fällt, wenn Familiengeheimnisse gelüftet werden können, und wenn erkannt wird, dass eben nicht alle Themen oder Probleme, die wir haben, tatsächlich unsere eigenen sind. Dann kann das, was ist, ganz anders angenommen werden, und sich so schließlich auch ein neuer Weg im Umgang mit den entsprechenden Herausforderungen öffnen.
Tiefe Traumata ebenso tief lösen
Es gibt viele Möglichkeiten, sich diesen Themen zuzuwenden: das Nächstliegende ist natürlich, das Schweigen zu brechen und das Gespräch zu suchen mit den Eltern und Großeltern. Nachfragen, sich erzählen lassen aus deren Kindheit und Leben: interessiert, mitfühlend und urteilsfrei.
Als betroffene Person kann mich sich Opferverbänden und Selbsthilfegruppen anschließen. Gängige Therapieformen für diese Themen sind Aufstellungsarbeit, Traumatherapien wie z. B. EMDR, Brainspotting oder EFT. Das Entscheidende ist die Hinwendung an die Vergangenheit und die Offenheit, sich all der unbewältigten Geschichten und ihren Folgen zuzuwenden.